Igor ist ein Mann Anfang 30. In den letzten Jahren hat er sich vor allem für spirituelle Themen interessiert. Er ist stolz darauf, ein »Mann mit Mission« zu sein. Igor nutzt während des Seminars jede Gelegenheit, seine Erfahrungen als Buddhist mitzuteilen. Überhaupt nimmt er jeden im Kurs genau so an, wie er ist. Igor fällt allen Teilnehmern dadurch zunächst angenehm auf. Im Lauf des Seminars fühlen sich manche jedoch durch seine Hauptbotschaft nach Einfachheit eher belästigt.
Igor hätte in dieser Situation keine Antwort darauf gefunden, warum die Menschen auch sonst immer wieder so zurückhaltend werden, wenn er länger mit ihnen spricht. Er meint weiterhin, innerhalb seiner Ideale zu handeln. Irgendwelche Widersprüche dazu fallen ihm nicht auf. Erst der Blick auf seine Wertetabelle macht ihn stutzig.
Gerade seine privaten Rollen (Sohn und Bruder) sind vernachlässigte Bereiche. In seiner Rolle als Dozent ist er weit entfernt von Werten wie »innerer Friede«, »Achtsamkeit« und »Abenteuerlust«. Igor hat auch in diesem Umfeld eine Mission. Er betreut aus tiefster Überzeugung die Weiterbildung von Arbeitslosen: »Dass sie durch mich einen neuen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, gibt meinem Dasein einen ganz besonderen Sinn. Ich gebe meinen Schülern etwas mit, das sie ihr ganzes Leben gebrauchen können.«
Igor arbeitet auf der einen Seite hochgradig »sinnhaft«. Die wirkliche Freude scheitert daran, dass er sich in seinem Beruf trotzdem langweilt. Sein Wert »Abenteuerlust« ist in seinen wichtigsten Rollen insgesamt nur schwach verwirklicht: Er vertritt seit Monaten die immer gleichen Botschaften. Und er unterrichtet den immer gleichen Stoff auf die immer gleiche Weise. Was er auf der einen Seite als Modell für Einfachheit begrüßt, friert ihn auf der anderen Seite nahezu ein.
Die Teilnehmern unseres Kurses spiegeln ihm zurück, dass er auf seinem Weg der Achtsamkeit und der Enthaltsamkeit zu viele faszinierende Möglichkeiten abgeschafft habe. Genau diese Möglichkeiten würden seinen Teilnehmern und Mitmenschen jedoch Freude bereiten.
Als Igor das hört, nickt er erkennend: »Einfachheit ist möglicherweise doch nicht die absolute Lösung, wenn es darum geht, abenteuerlustig zu sein.« Da ihm Transzendenz wichtig ist, müsse auch er über seinen eigenen Schatten springen können. Dann sei auch wieder mehr Abenteuerlust in seinem Leben möglich.
Im Seminar sprechen wir später darüber, dass Abwechslung die Voraussetzung für Wachstum ist. Die Beschränkung auf das Einfache und »Wesentliche« ist also nicht immer das, was unsere Augen zum Leuchten bringt.
Igor setzt auf seine To-do-Liste, dass er seine Trainings abwechslungsreicher gestalten wird. So wird er selbst wieder mehr Freude an seiner eigenen Arbeit haben. Als nächstes nimmt er sich vor, weniger »missionarisch« gegenüber seinen Angehörigen und Freunden zu sein. Nicht jeder möchte schließlich Buddhist werden.
Ein Beitrag von www.wertemanager.de.
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