KEN. Wenn eine Frau auf soviel Bewegtheit im Leben zurückblicken kann, dass mit Anfang 30 schon ihre (erste) Autobiografie fällig ist, dann muss etwas Besonderes an ihr sein. Und zwar viel. Dabei ist Mary Beth Patterson, die sich nach ihrem leiblichen Vater Beth Ditto nennt, als Frontfrau der Band Gossip und bei aller Exzentrik irgendwie normal.
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Beth Ditto (*1981) fehlten als Kind und Jugendliche alle möglichen Kriterien für das, was hätte sein können. Sie wuchs in einer Wohnwagensiedlung am Rande der Kleinstadt Searcy, Arkansas, auf. Dass ihr eigener Onkel sie bis zur dritten Klasse sexuell missbrauchte, erschien ihr (noch) normal. Wohl jedes Kind in diesem Umfeld habe Missbrauchserfahrung, meint die spätere Feministin.
Sie hatte außerhalb des Kirchenchors »seltsame« Freunde und interessierte sich für Punk. Als Dicke überlebte sie ihre Schulzeit, weil sie lustig war. »Lustige Menschen sind beliebt«, sagt sie. Einen Freund gab es auch, aber als sie sich ein Kind wünschte und Anthony sie eben nicht schwängerte, wurde sie von bisexuell zur Lesbe und blieb es. Wobei lesbisch bedeutete, der Hölle nahe zu sein: »Es ist nicht leicht, in Arkansas aufzuwachsen und keine Angst vor Gott zu haben.«
Schon mit sechs Jahren wollte sie Sängerin werden. Aber »wenn man aussieht wie ich, wird man nicht Sängerin.« Als ihre Freunde, ihre »Wahlfamilie«, Arkansas verließen, wurde sie vor Einsamkeit depressiv und verlor die Fähigkeit zu sprechen. Monate nach diesem psychogenen Schock kam sie wieder auf die Beine und machte ihren Schulabschluss. Endlich war sie so frei und gleichzeitig alt genug, die Wohnwagensiedlung ihrer Kleinstadt zu verlassen. Sie reiste ihren Freunden nach.
Olympia, Washington DC, war die Stadt der Punk-Musik. Gossip hatte erste Auftritte und die erste erfolgreiche Tournee als Vorgruppe von Zombie Beat. Beth Ditto lernte, auf der Bühne Spaß zu haben und schlagfertig auf Zwischenrufer im Publikum einzugehen. Sie hatte ihren Platz in der Welt gefunden. Aber wer glaube, von einer erfolgreichen Tour zurückzukehren sei glamourös, der hat sich gründlich geschnitten, sagt sie. Sie jobbte neben der Musik weiter in Fastfood-Restaurants, verkaufte Bagels und Klamotten bei Metro.
Beth Ditto war 19, als Gossip das Angebot von Kill Rock Stars bekam, ihr Album »That’s Not, What I Heard« aufzunehmen. 2009 gelang Gossip dann der weltweite Durchbruch; »Heavy Cross« stand in Deutschland fast 100 Wochen in den Charts.
Dass Beth Ditto als Star wahrgenommen wurde, änderte nichts daran, dass sie sich nicht als Star fühlte – trotz »Coolster Frau der Welt« laut Umfrage der Zeitschrift »New Musical Express«, trotz Modeschöpfer Karl Lagerfeld, der sie als Protégé unter seine Fittiche nahm, trotz eigener Modereihen für Übergrößen.
Beth Ditto blieb Beth Ditto und Punk. Punk bedeutet für sie, sich gegen Rassismus und Homophobie zu wehren: »Im Prinzip ging es also einfach um eine grundlegende Freundlichkeit, vielleicht sogar um Liebe. Darum, dass man andere Menschen nicht unnötig verletzt, keinen Profit aus ihrer Arbeit schlägt, der eigentlich ihnen zusteht, sie nicht dazu bringt, den eigenen Körper zu hassen – und dass man Menschen, die anders sind als man selbst, nicht feindselig begegnet.«
Den Platz in der Welt, den sie sich gewünscht hat, hat sie längst gefunden und fordert die Leser ihrer Autobiographie auf, es ihr gleich zu tun: »Lasst euch von euren Ideen in die Welt hinaustragen, in ein geniales, durchgeknalltes und aufregendes Leben. Den Stimmen in eurem Kopf und den Leuten, die euch klein halten wollen – sagte ihnen, dass sie sich verpissen sollen. Ihr seid perfekt, so wie ihr seid. Außer der Welt müsst ihr nichts verändern. Also fangt damit an.«
Ein Beitrag von www.buecher-blog.net.
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